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Literatur

Artikel im Themenheft "Familienklassen" der Zeitschrift Lernen Konkret

 
Gerlinde Proesch
Gerlinde Prösch
Rolf Niederdrenk
Rolf Niederdrenk

 

Pro und Contra für die Familienklassen

Die Schüler melden sich zu Wort
 
Nach anderthalb Jahren Familienklassenpraxis kam uns erstmals der Gedanke zu einer Meinungserhebung in der Schülerschaft. Die Lehrer hatten sich lang und breit mit dem Thema beschäftigt, während die Schüler bisher noch nicht direkt  zu Wort kamen, sondern im Schulalltag den Ernstfall probten. Der Zeitungsartikel gab den Anstoß zu dieser Idee.
 
Vor der Gründung der Familienklassen waren sie alle Mitglieder in Klassen,die aus einer relativ gleichalten  Schülerschaft bestanden. Vom Leistungsstand her gab es allerdings kaum homogene Gruppen, da bei uns alle Klassen mehrere schwerstbehinderte Schüler integrieren. Insofern sind viele Schüler schon von vornherein in eine tolerante, rücksichtsvolle und hilfsbereite Haltung hineingewachsen. Das bietet eine gute Voraussetzung, in einer Familienklasse Fuß zu fassen. Nach diesem Prinzip wurden einige Schüler schon im Vorfeld so weit wie möglich als familienklassentauglich ausgewählt.
 
Als erstes stellten wir uns die Frage : „Was ist eigentlich anders in einer Familienklasse ?“ Hauptmerkmal ist die Zusammensetzung von großen und kleinen, älteren und jüngeren Schülern, so wie es in Familien auch ist. Wie sich das auf den täglichen Unterricht auswirkt, wollen wir jetzt wissen. Lesen , Schreiben und Rechnen findet im Kurssystem statt, um wenigstens hier eine gewisse Leistungshomogenität zu gewährleisen. Was ist aber z. B. mit Sport, Schwimmen, Arbeitslehre Wie ist es in der Freizeit und auf Klassenfahrten ?
 
Für viele unserer Schüler ist es nicht einfach, sich ausführlich verbal zu äußern. Man muss sich Fragen überlegen, die sie nicht nur mit ja und nein, gut oder schlecht beantworten können, um mehr Informationen zu erhalten. Also versuchten wir jetzt mit unserer Familienklasse 1 ein Konzept zu erarbeiten. Wider Erwarten waren die Schüler sehr motiviert und gespannt. Zunächst wollten wir von ihnen wissen, wie es ihnen selbst in der Familienklasse gefällt. Dazu konnten wir leider nur die Schüler befragen, die sich gut verbal äußern können und den Sinn der Fragen verstehen.
 
Die Schüler, die ein ausgeprägtes Helfersyndrom haben, wie Sven-Olaf und Jasmin, äußerten sich sehr positiv. Andere wiederum, wie Dirk und Margret, schätzen es, mit jüngeren Schülern die körperliche Nähe zu genießen, da Umarmungen und Händchenhalten hier häufiger vorkommen . Andreas und Dirk  mögen es, eine beschützende Anführerposition einzunehmen. Die jüngeren Schüler können sich noch nicht differenziert äußern, doch fällt uns auf, dass sie sich gern anlehnen und motivieren lassen. Lediglich ein Schüler, Florian, sagt klipp und klar, er fände es interessanter, nur mit gleichaltrigen Mitschülern zusammen zu sein, so hält er sich an die “ großen“ Klassenkameraden.
 
Wir beschließen, bestimmte redegewandte Schüler aus den anderen Familienklassen 2 – 5 zu interviewen. Das macht uns zu Reportern. Sven-Olaf sagt gleich, er möchte Fragen zum Sportunterricht  stellen und hat auch eine Idee, wen er aus jeder Klasse zum Interview bitten will. Jasmin stellt mit Lehrerhilfe Fragen zum Thema „Freizeit“,  und Dirk zu allgemeinen Fragen wie, gefällt es dir in der FK, hast du Freunde gefunden....?
 
Beim Interview wird als Hilfe ein Diktiergerät und ein Mikrofon benutzt, damit uns besonders informative Aussagen erhalten bleiben. Sven- Olaf informativster Interviewpartner ist Björn aus der Familienklasse 4. Björn ist 18 Jahre alt und kann seine Gefühle und Ansichten sehr gut verbalisieren. Deshalb wollen wir hier einen Ausschnitt ausführlich wiedergeben:
 
Sven Olaf:Hallo Björn, ich möchte dich was fragen. Was macht eure Klasse eigentlich Im Sport?
Björn:Alles mögliche : Joggen, Fußball, Krafttraining, Circeltraining.
Sven Olaf:Was machst du denn am liebsten?
Björn:Fußball, Aber ich finde es auch gut, wenn wir etwas aussuchen dürfen. Mathias, Daniel und ich sind die Trainer. Wir sagen, was gemacht werden soll.
Sven Olaf:Können die Kleinen gut mitmachen?
Björn:Ja, wenn sie nicht wollen, treiben wir sie an. Beim Fußball rennen sie zwischen den Beine herum.
Sven Olaf:Gefällt es dir in einer Familienklasse?
Björn:Äh, jein, wenn mich nicht 2 Mädchen immer ärgern würden ... viel besser. Am liebsten hätte ich eine Klasse nur mit Jungens egal wie alt die sind, Hauptsache schlau und ruhig !
Lehrer:So wie du selbst?
Björn:Ja, genau !
Sven Olaf:Danke für das Interview. Und tschüß !
 
Die Probleme im Sportunterricht werden in den Familienklassen also so gelöst, dass in 3 Klassen die älteren Schüler teilweise Trainerfunktionen übernehmen und so die jüngeren Schüler und sie selbst besser motiviert sind. Das gefällt den Schülern. In den anderen 2 Familienklassen  wird der Sportunterricht differenziert. Hier gehen die Mädchen und die jüngeren Schüler zum Gymnastikprogramm in die Aula, damit allen Interessen ein adäquates Angebot gegenübersteht.
 
Beim Schwimmen ist das Hauptproblem nach Aussage der Schüler die Wassertiefe. Die größeren Schüler hätten gerne eine Wassertiefe von mindestens 1,50 bis 1,80m.
 
Zum Thema “ Freizeiten “ erinnerten die Schüler sich gern an die Ski- und Surffreizeit und an ihre letzten Klassenfahrten.  Sven-Olaf, Jasmin, Marcel, Cia und Christina ( alle aus verschiedenen Familienklassen ) berichteten, wann jüngere Schüler hier überall Hilfe von Älteren brauchten . Hier eine bunte Auswahl:
  • Anziehen von Skischuhen,
  • Hineinsetzen in den Skilift,
  • Ausgabe des Mittagessens in der Almhütte ( Ausgabetheke zu hoch für kleine Schüler )
  • Hilfe beim Aufsteigen aufs Pferd
  • Hilfe beim Anziehen des Surfanzugs
  • Tragen der Surfbretter
  • Kofferpacken und Schränke einräumen.
Die Hilfe ist hier kein großes Problem. Hauptsache für alle ist, dass die jüngeren Schüler früher ins Bett müssen.
Dann ist der Tag gerettet! 
 
Wir haben viele unterhaltsame und informative Aussagen der unterschiedlichsten Schüler aus insgesamt 5 Klassen gehört. Nach Beendigung des Interviews haben sich für uns folgende Hauptmerkmale herauskristallisiert:
  • Es gibt viele Schüler, die gern helfen. Dadurch fühlten sie sich gebraucht und wichtig, wenn sie ihr Wissen weitergeben können.
  • Schüler, die ein großes Zärtlichkeitsbedürfnis haben ,fühlen sich zu den jüngeren Schülern hingezogen, drücken sie und schmusen mit ihnen.
  • Schüler, die andere gern dominieren, finden es gut, wenn die jüngeren auf sie hören, das stärkt ihr Selbstbewusstsein.
  • Jüngere Schüler sehen gerne zu den älteren auf, bewundern sie und lernen von ihnen.
  • Ungefähr 20% der befragten Schüler äußerten den Wunsch, nur unter Gleichaltrigen zu sein. Sie brauchen ihre Peergroups, befriedigen dieses Bedürfnis aber in den Klassen, Pausen und Freizeiten.
Insgesamt haben wir nur einen einzigen Schüler (Horst aus der F 5) gehört, der es “doof “ findet, mit jüngeren Schülern in einer Klasse zu sein. Es ist wohl für die meisten Schüler kein großer Unterschied, ob die inhomogene Klassenzusammensetzung durch Alters- oder Leistungsunterschiede hervorgerufen wird. Schließlich wird man bei uns automatisch zu einem toleranten Schüler erzogen, und das ist auch gut so!
 

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Zuletzt aktualisiert von MME-Computertechnik am 07.04.2006, 20:45:36.