Logo Familienklassen
Literatur

Artikel im Themenheft "Familienklassen" der Zeitschrift Lernen Konkret

 
Michael Hewing-Wegrich
Michael Hewing-Wegrich
 

 

Das Projekt Traum-Café

 
 
Die Familienklasse 5 der Traugott-Weise-Schule betreibt einmal wöchentlich für 1 Stunde ein Schülercafe. Hier werden den Schülern, Lehrern, Eltern und auswärtigen Gästen kalte und warme Getränke, selbstgebackenen Kuchen, Süßigkeiten, Salate und Suppen angeboten.
 
Ferner wurde ein Partyservice eingerichtet, der je nach Bedarf auf Geburtstagsfeiern von Schülern und Lehrern Kuchen und Getränke bereitstellt und nach Wunsch auch die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Den Catering-Service für auswärtige Gäste hat ebenfalls das Traumcafeteam übernommen.
 
Die Schüler arbeiten in Gruppen je nach Entwicklungsstand selbst- ständig oder unter Anleitung in den jeweiligen Verkaufsbereichen. Jeder Schüler ist für seinen Verkaufsbereich verantwortlich.
 
Das Projekt „Unser Traumcafé“ innerhalb des Arbeitslehreunterrichts einer Familienklasse 5 (2.Jahr)
 

Der Begriff „Projektunterricht“

Das Traumcafé nimmt in der Familienklasse einen breiten Raum ein und integriert viele entwicklungs-, handlungs-, und fachorientierte Lernbereiche. Aufgrund der Merkmale, die dieser Unterricht aufweist, kann er nach unserer Ansicht als Projektunterricht bezeichnet werden.
 
Er wird ergänzt durch aktuelle Vorhaben, die außerhalb des Projektes laufen. 
 
Unser Leitziel lautet:
 
 „Eigenständiges Orientieren, Planen, Organisieren, Durchführen und Reflektieren gewünschter Handlungsabläufe“
 
Thema: Wir führen ein Schülercafe in der Schüler.
 
Grobziel: Die Schüler sollen an ein selbständiges und eigenverantwortliches Arbeiten  herangeführt werden und sich in der Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz entwickeln können.
 
Folgende Lernbereiche werden angesprochen:
1. Arbeitslehre Hauswirtschaft
  • Kochen und Backen
  • Wäschepflege
  • Textiles Gestalten
  • Arbeitsplatzpflege
  • Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz
 
2. Arbeitslehre Werken
  • Arbeiten mit dem Grundwerkstoff Holz
  • Materialkunde
  • Arbeitsplatzpflege
  • Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz
 
3. Ästhetische Erziehung
  • Neugestaltung der Decken und Wände
  • Gestaltung der jahreszeitlichen Feste 
 
4. Sprache / Lesen / Schreiben
  • Mündliche Ausdrucksfähigkeit
  • Schriftspracherwerb
  • Ganzwortlesen 
 
5. Umgang mit Mengen und Zahlen
  • Umgang mit Geld
  • Umgang mit Mengen, Maßen und Gewichten
  • Rechenoperationen 
 
6. Orientierung in der nahen Umgebung
  • Verkehrserziehung
  • Benutzung von Bahn und Bus
  • Behördengänge
  • Einkaufen
 
7. Sozialerziehung
  • Umgang mit Gästen im Traumcafe
  • Teamarbeit
  • Planung und eigenverantwortliche Durchführung einer Aufgabe
  • Integratives Arbeiten im Team in einer anderen Schule
 
Dabei sind die einzelnen Handlungsfelder nicht künstlich voneinander getrennt, sondern stehen im natürlichen Bezug zum Verkauf im „Traumcafé“. Alle Tätigkeiten hängen zusammen, so wie sie auch in der Wirklichkeit vorkommen. Das Handeln macht für jeden Schüler Sinn. Sich ergebene Probleme sind nicht konstruiert, sondern mitunter nicht vorhersehbar und verlangen von den Schülern ein hohes Maß an Flexibilität. („Wer macht die Arbeit, wenn ein Schüler krank ist? Was muss getan werden, wenn jemand etwas verschüttet? Wo bekommen wir Wechselgeld her? Haben wir genug eingekauft? Sind unsere Kunden zufrieden mit dem Angebot? Wer wäscht und bügelt unsere schmutzige Wäsche?“ etc.
 
Das Hauptanliegen des „Traumcafés“ liegt darin, anhand eines Tätigkeitsfeldes grundlegende Fähigkeiten anzubahnen, die die Schüler in die Lage versetzen sollen in Kooperation mit anderen verantwortungsvoll und zielorientiert handelnd tätig zu sein. Mit der Arbeit sollen die Schüler Kompetenzen erwerben, die sie auf ein Arbeitsleben nach der Schule vorbereiten.
 
Allgemeine Ausbildungsziele sind u.a.:
  • Kennenlernen der räumlichen Umgebung des Arbeitsplatzes
  • Kennenlernen der Betriebsstruktur
  • Kenntnis der wichtigsten Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften
  • Beachtung von Maßnahmen des Umweltschutzes
  • Beherrschung notwendiger sozialer Verhaltensweisen
 
Neben den vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen greift das „Traumcafé“ direkt in die lokale Entwicklung ein. Einmal in der Woche bietet es die Gelegenheit für Lehrer und Schüler sich in einem gemütlichen Rahmen zu treffen und auszutauschen.
 
Darüber hinaus bietet das „Traumcafé“ die Möglichkeit der Öffnung nach außen. Seit zwei Jahren sind wir mit einem Verkaufsstand auf unserem Schulfest und dem Stadtteilfest vertreten. Ebenso werden wir jetzt im Laufe des Schuljahres Bewohner des benachbarten Altenheims zum Kaffee einladen. Wirksame Öffentlichkeitsarbeit zur Eingliederung der Schüler in die Gesellschaft sollte nach unsere Ansicht bei den Stärken der Menschen mit geistiger Behinderung einsetzen; ein weiterer Aspekt zur beruflichen Eingliederung.
 

Das Bedingungsfeld

Die Familienklasse setzt sich aus drei Schülerinnen und elf Schülern zusammen, die zwischen 14 und 23 Jahre alt sind. Die Atmosphäre in der Klasse ist angenehm und entspannt. Das Miteinander kann überwiegend als kooperativ und überwiegend freundschaftlich bezeichnet werden.
 
Die Leistungen der Schüler sind sehr heterogen. Im Rahmen des Projekts trifft dies besonders auf die individuellen Voraussetzungen der Schüler in den Bereichen Sprache, Kognition, Sozialverhalten sowie Lern- und Arbeitsverhalten zu.
 

Vorbereitung

Mit Mitteln aus Spendengeldern und z. T. aus dem Verkaufserlös war es möglich, unseren Gruppenraum in eine funktionale Küche mit großen Arbeitsflächen, Schränken, Herd mit Backofen sowie einem Kühlschrank zu modernisieren. Ferner konnten wir den Verkaufsraum mit einer von den Schüler selbstgebauten  Verkaufstheke mit Kühlschrank und Spülmöglichkeit, sechs Bistrotischen und 23 Stühlen, einen im Werkunterricht gebauten Süßigkeitenstand,  eine Salat- und Suppenbar  sowie eine Saftbar gestalten. Auf dem angrenzenden Balkon haben wir  einen Holzboden verlegt und weitere Gartentische und -stühle bereitgestellt. Hier sind der Bau einzelner Holzblumenkästen zu erwähnen.. Die Bezeichnung „Traumcafé“ wurde von der Schülermit- verwaltung (SMV) entwickelt.
 

Die Arbeit im Traumcafé

Um den Verkauf im Traumcafé durchführen zu können, haben wir jede Woche zwei Schultage eingeplant. An den anderen drei Tagen finden fachorientierte Lehrgänge wie Lesen/Schreiben, Mengen und Zahlen, Musik, Religion, Sport/Schwimmen und aktuelle Vorhaben statt.
Mittwochs backen die Schüler Kuchen und bereiten (im Winter) die Suppe vor.
Zur besseren Transparenz stellen wir den Tagesablauf an einem  Donnerstag vor:
 
8.45 -   9.00 UhrBesprechung der notwendigen Einkäufe Getränkekarte und Erstellung einer Einkaufsliste
9.00 - 10.00 UhrEinkauf/Kuchen backen
10.00 - 10.30 UhrFrühstück
10.30 - 12.00 Uhr
Verteilung der Aufgaben:
  • Aufbau des Verkaufsraumes
  • Offene Angebote:  - Fertigstellung der Kuchen
  • Dekoration oder Reparaturarbeiten
12.00 - 13.00 UhrMittagessen
12.30 - 13.30 UhrVerkauf im Traumcafé
13.30 – 15.00 UhrAbbau des Traumcafés und Spülen/Putzen, Einnahmen zählen
 
Um eine individuelle und damit differenzierte Begleitung bei der Erledigung der anfallenden Arbeitsschritte innerhalb des Traumcafés zu ermöglichen, haben wir die Klasse in Teams eingeteilt. Zur Unterstützung der Teams stehen zwei Lehrpersonen und ein Zivildienstleistender zur Verfügung, die den Ablauf beobachten und ggf. das Team unterstützen sollen. So entstanden vier Teams mit jeweils zwei bis vier Schülern. Jedes Team arbeitet selbständig für sich. Zur besseren Orientierung haben wir die Teams farblich und mit Namen auf Stickern gekennzeichnet, die jeder Schüler tragen kann. Jedes Team hat ein Aufgabengebiet::
 
rot-Kuchen verkaufen
grün-Getränke verkaufen
gelb-Süßigkeiten verkaufen
blau-Suppe/Salat
 
Jedes Aufgabengebiet besteht aus mehreren Handlungsschritten, die, um eine bewusste Orientierung, Planung, Durchführung und Kontrolle der einzelnen Schritte zu erleichtern, auf sogenannten Arbeitskarten photographisch, graphisch und in schriftlicher Form abgebildet sind.
 
Ziel ist es, eine größtmögliche Unabhängigkeit von der Hilfe und Kontrolle der Lehrkraft bzw. der Mitschüler zu erlangen und eine je nach Behinderungsgrad individuelle Differenzierung zu ermöglichen. Jedes Team arbeitet mehrere Wochen im gleichen Aufgabenkomplex. In der Teambesprechung werden die
 
Aufgabengebiete  neu verteilt, Anforderungen jedes Gebiets diskutiert, Wünsche berücksichtigt und Probleme erörtert. Geleitet werden diese Besprechungen von den Schülern selbst. Jeder Schüler bekommt dann ein Arbeitsbuch an die Hand, in dem er Schritt für Schritt durch sein Aufgabengebiet geführt wird. Somit können Ersatzkräfte aus anderen Klassen angelernt und in ein jeweiliges Aufgabengebiet schnell eingeführt werden, Aufbau, Verkauf, Abbau des Standes werden eigenverantwortlich durchgeführt. Mittlerweile benötigen die Schüler keine Handbücher mehr!
 
Vor Beginn des Verkaufs werden die Angebote in der Schulsprechanlage durchgesagt und Werbung für das Traumcafé gemacht. Des weiteren haben wir in der Unterrichtsreihe „Werbung“  ein eigenes Logo entwickelt.
 

Nachbemerkung

Bei einer Gesamtschülerzahl von ca. 146 Schülern und einem Kollegenstamm von ca. 40 Lehrern kann das Traumcafé als ein sehr erfolgreiches Angebot gewertet werden. Die Schüler erfahren ihre Arbeit als sinnvoll und „gewinnbringend“. Jeder einzelne trägt dazu bei, dass das Traumcafé „in aller Munde ist“ und auch außerhalb der Schule ankommt!
 
Die integrierten Arbeitsprozesse zeigen deutlich die Stärken und Schwächen einzelner Schüler. Somit ist die Möglichkeit gegeben, gezielte Arbeitsbereiche kennen zulernen, die den Fähigkeiten jedes einzelnen entsprechen. Freude, Ausdauer und  Konzentration entwickeln sich zunehmend.
 
In diesem Schuljahr wurde ein Teil des alten Teams durch  neue Schüler ersetzt. Es zeigte sich, dass das Anlernen der „Neuen“ für den Stamm der Klasse keine nennenswerte Probleme aufwies. Sie wurden als neue Partner akzeptiert, von ihnen angelernt und arbeiteten, unterstützt durch die Anderen mit den Arbeitshandbüchern gemeinsam mit den „Älteren“ in ihren Teams.
Die Arbeit im Team ist nach unseren Erfahrungen ein gelungenes Konzept. Die Schüler werden im späteren Berufsleben viele Bestandteile unseres Konzepts wieder finden und somit selbstbewusster den Berufsalltag angehen können.
 
M. Hewing-Wegrich
 

Literaturverzeichnis

  • Boban, I.u. Hinz, A.: Werkstatthaus Hamburg - Wohnen mitten in der Stadt und Arbeiten in einem rollstuhlgerechten Hotel- In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 1995, S. 145-163
  • Buschka, M.: Grundkonzept zum projektorientierten Unterricht, In: Lernen konkret, 1985, Heft 3, S. 1-3
  • Dürr,H.-G.: Ungenützte Möglichkeiten der Eingliederung Geistigbehinderter in die Arbeitswelt, In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 1992, S. 145-163
  • Gudjons, H.: Handlungsorientiertes Lehren und Lernen, Verlag Julius Klinkhard, Bad Heilbronn, 1994
  • Schimpfke, U.: Förderschwerpunkt „ Selbständiges Handeln“ – Analyse und Konkretisierung für den Unterricht, In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 1994, S.318-326

Druckansicht

Bitte hier einloggen: Log In

Zuletzt aktualisiert von MME-Computertechnik am 09.04.2006, 21:12:49.